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Montag, 18. Dezember 2017

Sammys wauschönes Weihnachtsabenteuer - Kapitel 15



15. Die Beutelstätte  



Als sie sich in die Höhe erhoben, sah Sammy gespannt nach unten, wie alles kleiner wurde. Er empfand kein mulmiges Gefühl mehr, noch hatte er Angst. Niki saß in der Mitte, und so hatte Sammy einen wunderbaren Ausblick auf die Welt tief unten. Bibi hatte sich zu Holly in Nikis Jackentasche verkrochen, war ihr doch etwas unbehaglich in diesen Höhen.
"Luxis fühlen sich auf der Erde am wohlsten," erklärte Niki mit einem Lächeln. "Dort können sie ihre Beinchen jederzeit in den Mutterboden wühlen, um Halt zu finden, wenn sie sich fürchten. Doch hier oben müssen sie sich an jemandem festhalten, das beruhigt sie."
Emmy flog mit leichten, fast grazilien, langsamen Flügelbewegungen neben ihnen her.
"Haltet euch fest," rief sie zur Schlittengesellschaft hinüber, "jetzt geht es in einen wilden Flug!"
Sammy tat, wie Emmy empfohlen hatte, und zu Recht: mit einemmal schwenkte der Schlitten erst wieder steil nach unten, dann flugs nach oben, und machte dabei eine reißende Biegung. Einen kurzen Augenblick verschwammen die Sterne vor Sammys Augen, doch es hielt nicht lange an, und er konnte das Funkeln und Glitzern von riesigen Gesteinsformationen in der Ferne erkennen.
"Das ist das Drachengebirge," sagte Emmy, ganz dicht neben Sammy fliegend. "Jetzt wird es nochmal kurz ein stürmischer Ritt!" rief sie, während sie sich schon wieder von ihnen entfernte und schlängelnde Linien flog.
Niki lenkte ihr den Schlitten nach, und Sammy dachte schon, sie würden abstürzen, als der Schlitten doch unvermittelt sein Tempo verringerte und ohne zu Ruckeln abrupt in der Luft stehenblieb. Nicht sehr weit unter sich konnte er nicht nur Felsen sehen, sondern auch riesige Nester, wie das, in dem er Emmy im Garten angetroffen hatte. Sie waren leer und wirkten ein wenig vertrocknet.
"Hier lege ich einige meiner Eier hinein," erklärte Emmy, wieder dicht bei Sammy. "Doch nur diejenigen, die im Gebirge aufwachsen sollen."
Sie entfernte sich erneut, bedeutete Niki mit einer Geste, er solle warten, und flog kopfunter hinab. Nach einigen Sekunden schon tauchte sie wieder neben ihnen auf und sagte, das sie ihr folgen sollen, sie habe einen Landeplatz gefunden.
"Ich bin nicht sehr oft hier, muss ich gestehen," sagte Niki, und wäre Sammy nicht so gespannt auf das gewesen, was unter ihnen lag und nun rasend auf sie zukam, hätte er eine leichte Schamesröte um Nikis Nase herum ausmachen können.
Die Landung wurde angesichts des felsigen Bodens etwas holprig. Sammy wartete, bis die anderen ausgestiegen waren, und folgte ihnen unsicher. Wie sie so ohne Mühen auf diesem Untergrund laufen konnten? fragte er sich. Vermutlich lag es an ihrem Schuhwerk, dachte er noch, als Emmy ihnen den Eingang zu einer Höhle wies.
"Hier wirst du einige meiner Kinder treffen," sagte sie sanft. "Folgt mir!"

Die Höhle schien sich endlos dahinzuziehen. Nach einiger Zeit jedoch gingen vom Haupteingang mehrere Wege in unterschiedliche Richtungen ab. Emmy schlängelte sich ihnen voraus, und Sammy hatte bemerkt, das ihre Beine verschwunden waren. Ihre Flügel hatte sie zwar eingeklappt, aber er konnte sie im dämmrigen Licht noch erkennen. Als er zu den Seiten blickte, nahm er vereinzelt Luxis wahr, die sich hier und da auf den Felsen niedergelassen hatten.
Sie erreichten einen großen Saal am Ende des Hauptganges. Hier war es schummrig, aber doch heller, als noch in dem Gang zuvor. Luxis saßen zu allen Seiten: ob auf dem Boden oder an den Felswänden, sie spendeten mattes Licht. Viele Drachen, um etliches kleiner als Emmy, schwirrten hier umher. Einige beschäftigten sich an Tischen, andere an Webstühlen, wieder andere schienen zu nähen, und ein paar füllten etwas Glitzerndes in große Fässer.
"Hier wird der magische, silberne Staub abgefüllt."
Als Emmy eintrat, sahen alle Drachen von ihrer Tätigkeit auf und stürmten freudig auf sie zu. Sie kuschelten und drückten sich an sie, umarmten und liebkosten sie.
"Hallo, meine lieben Kinder!" sang Emmy liebevoll. "Ich habe euch sehr vermisst!"
"Wir dich auch!" war zu vernehmen, und "es ist so schön, dich zu sehen!"
Als die ungestüme Begrüßung sich gelegt hatte, kehrten die Drachen an ihre Arbeit zurück.
"Was bedeutet, der magische Staub wird hier abgefüllt?" wollte Sammy wissen, nachdem er die erste Scheu abgelegt hatte. Es mussten um die hundert Drachen gewesen sein, die in einem Pulk auf sie zugeflogen waren. Das hatte ihn dann doch ein wenig erschreckt.
"Ich lege die Eier, die bald schlüpfen werden, in unterschiedlichen Gebieten unserer Welt ab. Einige hier im Drachengebirge, andere in den Sümpfen, Wäldern oder Gärten. Dort werden sie geboren, und sie leben eine Weile in diesen Gebieten, bis sie alt genug sind, magischen Staub zu speien. Dies geschieht zu der Zeit, wenn sich ihr Fell bildet, und sie eine bestimmte Farbe annehmen: Gold, Silbern, Blau, Violett, helles oder dunkles Braun, Weiß oder Orange. Die Farbe bestimmt, wie stark die Magie im Staub ist, und für was sie verwendet wird ."
Sammy lauschte gespannt, während Emmy es sich gemütlich gemacht hatte und sie alle näher zu sich heranzog. Ihre Wärme war wohltuend und entspannend.
"Dies hier ist die Beutelstätte, und hier werden die Beutel für den magischen Staub gefertigt. Nur wir Drachen haben eine so feine Webtechnik, um Beutel fertigen zu können, die imstande sind, den magischen Staub zu halten. Wenn nun meine Kinder wachsen, fallen ihnen die Fellschuppen aus, und aus diesem Fell werden die Beutel gewebt. Der magische Staub, der in diesen Fässern zuerst gesammelt wird -" sie deutete auf eines der Fässer im Hintergrund der Höhle, "wird nach Fertigung des jeweiligen Beutels dorthinein gegeben."
"Deshalb die unterschiedlich farbenprächtigen Beutel in Nikis Schlitten?!" halb fragte, halb sagte es Sammy, und Emmy nickte lächelnd.
"Ganz richtig! Jede Farbe hat eine eigene Magie. Manche eignen sich für große Wünsche, andere für kleine, wieder andere bringen den Schlitten zum Fliegen." Dabei zwinkerte sie auf ihre liebenswerte Weise.
"Und leben alle Drachen hier?"
"Die meisten, ja. Nur einige sind Globetrotter, sie haben sich für ein anderes Leben entschieden, als das Dasein hier im Drachengebirge. Doch früher oder später zieht es sie alle hierher zurück. Hier sind nicht nur ihre Wurzeln, hier ist das, was für uns Drachen am meisten zählt: die Familie, die Freunde, das Leben, die Liebe."
"Legen sie auch Eier?" wollte Sammy leise wissen und bedachte Emmy mit einem neugierigen Blick.
"Nein, nur ich kann das. Das ist wohl meine besondere Gabe."
"Nur eine davon!" sagte Niki, und sie lachten.
"Dem goldenen Staub wohnt die mächtigste Magie inne: sie kann nicht nur als einzige die Schlitten zum Fliegen bringen, sondern auch die tiefsten Sehnsüchte stillen. Goldener Nachwuchs ist selten, umso kostbarer ist dieses besondere Zauberpulver."
"Geht der Staub nie aus?" Sammy kratzte sich mit der Hinterpfote nachdenklich am Kopf.
"Nein," antwortete Emmy, "es gibt immer mehr als reichlich. Wir haben genug Magie, die geheimsten Wünsche zu erfüllen. Und dennoch müssen auch wir mit der Magie selber haushalten." Sie kicherte. "Die Kraft, diese Magie anzuwenden, ist nur den wenigsten Wesen gegeben. Es nutzt nichts, wenn wir Tonnen von Magiestaub zur Verfügung haben, aber niemand damit umgehen kann."
Das leuchtete Sammy ein.
"Und alle Drachen arbeiten hier?"
Emmy lachte.
"Nicht nur arbeiten, mein lieber Sammy, sie leben hier. Es verhält sich mit uns Drachen nicht anders, als mit allen anderen Lebewesen dieser wunderbaren Welt: niemand muss etwas machen, zu dem er sich nicht berufen fühlt! Wer sich einer anderen Aufgabe zuwenden möchte, kann sich jederzeit gerne seiner selbsterwählten Herausforderung widmen."
Die Drachen schwirrten und flirrten durch die Höhle. Die Luxis hingegen schienen vollkommen still zu verharren. Sammy warf Bibi einen Blick zu. Auch sie saß nahezu unbeweglich bei ihnen, gab schimmerndes Licht ab und schwieg. Er konnte angesichts ihrer Körperhaltung nicht einmal mehr ihren Kopf sehen.
"Und geht nicht auch Staub daneben?"
Wieder lachten sie alle.
"Oh ja, natürlich. Aber ohne die magische Kräfte der zauberbegabten Wesen kann hier nichts geschehen. Und da Luxis gegen Magie immun sind, denn sie selber beherbergen eine starke Zauberkraft, ist hier der sicherste Ort um die Beutel zu fertigen und mit magischem Staub zu befüllen."
"Aber ihr alle kommt nicht sehr oft hierher?" wollte Sammy wissen, nachdem er dem Treiben der Drachen eine ganze Weile zugesehen hatte.
"Nein, meist fehlt nicht nur die Zeit, meine Kinder sind gerne unter sich. Wie gesagt, nur wenige sind Weltenbummler und mischen sich unter die Völker. Drachen sind immer geschäftig und nehmen sich nur eine Auszeit, wenn es nötig ist."
"Aber es ist doch hoffentlich nicht zu ihrem Schaden?" Besorgnis lag in Sammys Stimme.
Emmy sah ihn lächelnd an.
"Nein, sie lieben ihr Leben so, wie es ist. Wenn sie genug haben, gönnen sie sich eine Pause. Diese kann sich auch über einen langen Zeitraum hinstrecken. Die Zeit der Menschen zählt hier nicht, wie du weisst. Wenn sie bereit sind, sich Ruhe zu gewähren, dann machen sie dies ausgiebig. Sobald sie jedoch wieder wachsen, kehren sie eigenständig hierher zurück und nehmen ihre Berufung wieder auf."
Sammy saß einen Moment ganz still und lauschte den seltsamen Klängen, die das Werken der Drachen begleitete. Es schien, als läge ein ständiger Singsang im Raum, und alles wurde ummantelt von einem satten und doch seichten Schein, einem Funkeln und Glimmen. Doch der Hund sah nicht, das jemand hier singen würde.
"Der Zauber, der diesen besonderen Ort erfüllt, ist der Zauber, der in uns Drachen liegt, der dieses Summen und Singen hervorruft," wisperte Emmy sanft, als sie Sammys lauschende Ohren wahrnahm. "Hier wirkt die uns gegebene Magie am stärksten, sie ist hoch konzentriert. Vielleicht mit ein Grund, warum Drachen meist unter sich sind."

Der Abschied fiel Sammy schwer, einen zu außergewöhnlichen Blick in eine völlig neue Welt hatte er erhaschen können. Die Drachen hatten sich ebenso stürmisch von ihrer Mutter verabschiedet, wie sie sie begrüßt hatten, doch natürlich schmiegten und drückten sie sich auch an alle anderen ihrer Besucher.

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