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Donnerstag, 21. Dezember 2017

Sammys wauschönes Weihnachtsabenteuer - Kapitel 18



18. Misha 



Ein dunkelbrauner Welpe tollte in einem Gehege mit anderen Welpen herum. Hände kamen und griffen ihn. Er wurde von seiner Familie fortgerissen. Die Menschen, die ihn mitnahmen, spielten mit ihm. Bis er wuchs. Er wurde groß, und obwohl er noch jung war und spielen wollte, ließen sie ihn alleine zu Hause zurück. Sie waren den ganzen Tag fort, manchmal ein paar Tage hintereinander. Der Hund hatte Hunger und Durst. Er lief durch die Wohnung, kratzte an den Türen und Schränken, biss sich ins Sofa, schabte am Teppich. Er bellte, jaulte und heulte.
Eines Tages kamen andere Menschen, die ihn aus der Wohnung fortnahmen. Sie gaben ihm Essen und Wasser, er musste zum Doktor und Tabletten und Spritzen bekommen. Sie brachten ihn in einen Zwinger. In anderen Käfigen saßen andere Hunde, die jaulten, kläfften oder herumlagen, mit hängendem Kopf in einer Ecke saßen oder jeden anknurrten, der an ihren Zwingern vorüberging. Der Hund war unglücklich. Zwei Mal am Tag kam ein Mensch, und führte ihn einige Minuten über eine Wiese. Dann musste er zurück in den Käfig. Erst nach einigen Monaten, einer schier endlos langen Zeit für ihn, kamen neue Menschen. Ein Mann und eine Frau. Sie hatte einen kleinen Bauch, und der Hund freute sich, denn sie waren freundlich zu ihm. Doch das Glück währte nicht lange. Die Menschen bekamen Nachwuchs, rosig und duftend. Das kleine Menschlein schrie immerzu, es wurde krank und bekam Fieber. Die Menschen brachten den Hund zu einem Bekannten. Ein älterer Mann war es, und er hatte viel Zeit, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Doch eines Tages lag er bewegungslos in seinem Sessel. Der Hund stupste ihn noch mit der Nase, doch er antwortete ihm nicht mehr.
Wieder kam er in einen Zwinger. Wieder waren viele laute und unglückliche Hunde um ihn herum. Er war traurig. Er hatte die Menschen gemocht, aber sie mochten ihn wohl nicht. Er wurde größer, war nun erwachsen, und brachte viel Zeit in dem Käfig zu. Die Menschen, die andere Hunde mitnahmen, beäugten ihn immer skeptisch. Einige sagten: "der ist zu groß" und "ich habe keine Zeit für einen Hund, der so viel Auslauf benötigt" oder auch "armer Kerl, aber das ist nicht das, was mir vorschwebt". Mit hängendem Kopf lag er nur noch herum. Er stand auch nicht mehr auf, wenn Menschen durch die Gitter guckten. Es war ihm egal. Doch dann kamen Menschen, die ihn mitnahmen. Doch auch hier war sein Glück nicht von Dauer. Wieder landete er im Gefängnis. Und dann wieder. Und wieder. Und wieder. 
Die Zeit war verstrichen, und er war nicht mehr so jung. Er war sehr dunkel, und sein Gemüt wurde finster. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden. Zu viele Menschen, zu viele Enttäuschungen. Er wandte sich mit dem Kopf gegen die Wand, gab keinen Laut mehr von sich, und hatte auch keinen Hunger mehr. Dann musste er wieder zum Doktor. Der Mensch, der ihn hinbrachte, sagte: "Er ist viel zu dünn. Er hat keinen Appetit mehr, der arme Kerl." Mitleidig sahen die Menschen ihn an, aber ob sie ihn mochten, war ihm gleich.
Eines Nachts dann kamen schwarzgekleidete Menschen in das Gefängnis. Sie brachen die Käfige auf und befreiten die Hunde. Sie nahmen sie in einem großen Wagen mit und ließen sie frei. So wurde die Straße sein Zuhause. Immer wieder war er auf der Flucht vor Menschen, die ihn mit allen möglichen Tricks einfangen wollten. Manche waren ganz nett, und wollten sein Vertrauen gewinnen, um ihn dann wieder einsperren zu können. Andere waren brutal und schlugen und traten auf ihn ein. Er konnte jedesmal entkommen, manchmal war es knapp, aber er schaffte es dennoch. Er lebte überall, wo gerade ein Plätzchen zum Schlafen war. Aß, was er finden konnte, all das, was die Menschen wegschmissen. Er wurde meistens satt. Eines Tages geriet er in Streit mit einem anderen Hund. Er hatte schon einige Tage nichts zu Essen bekommen, und sie wollten beide die Würstchen, die der Metzgermensch weggeschmissen hatte. Der andere Hund biss ihm ein halbes Ohr ab, und winselnd vor Schmerz rannte er davon. Er lief und lief, bis er eine Gasse fand, in die er sich legte. Er fühlte sich so einsam, und die Hoffnungslosigkeit übermannte ihn. Er legte eine Pfote über die Augen und wimmerte.

Der Nebel verdunkelte sich wieder, wurde blau, undurchsichtig, verschlossen.
Sammy war fassungslos. Der Hund tat ihm unendlich leid, er fühlte seinen Schmerz.
"Niki, das ist furchtbar!" hauchte er bestürzt. Niki nickte leicht, und Traurigkeit stand in seinem Blick.
"Ihm müssen wir helfen!" wandte er sich dann an Sammy. Sammy wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und bellte leise.
"Gut. Ich werde sofort Urwi aussenden, sich unserem armen Freund anzunehmen."
Mit großen Schritten verließen sie den Raum der Hoffnung. Wieder verschloss Niki die Tür zum Raum gewissenhaft. Als sie Nikis Büro erreichten, ließ dieser sich am Schreibtisch nieder und wühlte unter seinem Schreibkram nach einem Funkgerät. Es war ein wenig unhandlich, knubbelig und klein, und Niki hatte Mühe, mit den großen Fingern die richtigen Tasten zu erwischen.
"Hallo Niki!" knarzte Urwis Stimme am anderen Ende.
"Urwi, wir haben ein hoffnungsloses Geschöpf gesehen. Komme mir am Eingang entgegen, dort gebe ich dir den Staub, damit du den Weg finden wirst. Es handelt sich um einen Freund von Sammy, ein Dunkelbrauner mit kaputtem Ohr. Es eilt."
Hektisch erhob Niki sich, winkte Sammy, er solle ihm folgen, und erklärte, mit eiligen Schritten gen Ausgang laufend: "Für diese Aufgabe benötigt ein Schlitten besonderen Antrieb." Niki zog ein winziges, silbernes Säckchen aus seiner Manteltasche. "Diesen magischen Staub erhalte ich nur ein Mal im Jahr von Emmy. Ich verwahre ihn gut in meinem Mantel auf, denn niemand außer mir soll sich dieses Säckchens bedienen." Dabei zwinkerte er. Sammy kicherte, als er an Matti dachte, der eine geheime Schlittenfahrt hatte unternehmen wollen.
"Und was geschieht nun?" fragte Sammy nachdenklich, nachdem Niki Urwi den winzigen Beutel übergeben hatte.
"Nun, er reist in die Menschenwelt und greift unseren armen Freund auf. Er wird ihn zu uns bringen, und du wirst ihn kennenlernen."
Sammys Augen weiteten sich vor Überraschung.
"Und dann?" wollte er wissen.
"Das sehen wir, wenn es soweit ist," lächelte Niki und streichelte Sammy.
Niki bestieg den Schlitten, der sie hergebracht hatte, und sagte Sammy, das sie am Weihnachtsgarten auf ihren neuen Besucher warten würden.

Sammys erste Frage, als sie den Weihnachtsgarten erreichten, lautete:
"Ist Emmy hier?" Er hielt sehnsüchtig nach ihr Ausschau.
"Sie verteilt die Eier, die sie gelegt hat," sagte Niki sanft. "Das gibt wieder viele, süße, kleine Drachen." Sammy war betrübt, das seine liebste Emmy in diesem wichtigen Moment nicht bei ihm sein konnte, aber er freute sich auch, das sie ihren Nachwuchs in die Welt schickte.
Es mochte eine Stunde vergangen sein, da sah Sammy am dämmrigen Firmament Urwi auf seinem Schlitten anbrausen. Neben ihm konnte er eine Gestalt erkennen, jedoch nichts genaues ausmachen. Urwi flog eine kleine Kurve einige Meter über ihren Köpfen, und er hörte ihn lachen und hörte ein freudiges Bellen. Sammy wedelte nervös. Er trat von einem Bein auf das andere. Niki streichelte seinen Kopf, um ihn zu beruhigen, und Sammy warf ihm einen aufgekratzten Blick zu. Der Schlitten wurde in ihrer Nähe geparkt, doch es dauerte einige Minuten, ehe Urwi und sein Begleiter ausstiegen.
"Guten Abend, alle zusammen!" rief Urwi und winkte. Er beugte sich zu dem Hund hinunter, der sich in seiner Gesellschaft befand, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Scheu und argwöhnisch näherte sich nun auch der Vierbeiner. Sammy lief ihm erst mit einem Satz, doch dann langsam entgegen. Der fremde Hund hielt inne.
"Das ist Misha," stellte Urwi den dunklen Hund vor, "und das ist Sammy."
Die beiden sahen sich einen Moment nur schweigend an, doch dann brach Sammy das Eis:
"Ich habe deine Vergangenheit gesehen. Es muss schrecklich für dich gewesen sein. Es tut mir sehr leid, wie schlecht es dir ergangen ist."
In seiner Stimme schwang Bedauern mit, und Misha fasst Mut und nickte:
"Ja, es war kein so schönes Leben. Jetzt bin ich alt, und mich will sowieso niemand mehr haben. Als Urwi mich heute aufgelesen hat, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Was wird nun geschehen?"
Sammy lächelte.
"Das weiß ich nicht. Vielleicht möchtest du erstmal was essen? Hier gibt es alles, was das Herz nur begehrt!" Er schleckte sich mit der Zunge über die Lefzen. Misha war misstrauisch, das konnte Sammy sehen. Er hatte nicht viel Erfahrung mit anderen Hunden, das musste er zugeben. So stand er einen Augenblick nur und rätselte, wie er Misha näher kommen konnte.
"Einen wunderschönen guten Abend, mein lieber Freund!" begrüßte schließlich Niki den Neuankömmling. "Darf ich mich vorstellen: ich bin Niki, der Weihnachtsmann. Es ist mir gegeben, das ich ein Mal im Jahr einem hoffnungsloses Geschöpf Freude und Glück bringen darf - und dieses Jahr bist du es, dem ich diese Gaben übergeben möchte. Was, du arme Seele, kann ich dir denn Gutes tun?"
"Was muss ich dafür tun?"
Niki lachte mit seiner tiefen, summenden Stimme schallend auf.
"Hohohoho, natürlich nichts! Deshalb sind es ja Gaben, sie kosten nichts. Wie wäre es, wenn wir erstmal herzhaft essen würden? Mit vollem Bauch ist einem doch gleich viel wohler, nicht wahr?"
Unbeeindruckt von Mishas Argwohn und leichter Ruppigkeit, fuhr Niki dem strubbeligen Hund durch das staubige Fell.
"Ich lade euch jetzt erstmal zum Essen ein. Und dann sehen wir weiter."
Misha folgte Sammy, der etwas langsamer lief, in einigem Abstand. Sammy sah sich immer wieder um. Schließlich wartete er, bis Misha aufgeholt hatte, und sagte:
"Hattest du auch Angst, als du in der Luft warst? Also mir ist ganz schön mulmig gewesen beim ersten Flug!"
Misha antwortete nicht direkt, sondern betrachtete Sammy eingehend von der Seite. Als sich ihre Augen trafen, sahen sie einander eine ganze Zeitlang schweigend an. Dann nickte Misha, und ein Lächeln huschte über seine Lippen.
"Allerdings," sagte er leise, und Sammy glaubte, etwas wie ein Kichern vernehmen zu können. "Ich dachte, ich träume. Oder ich wäre tot und würde nun irgendwohin gebracht."
Sammy kicherte ebenfalls.
"Ich dachte, ich würde aus dem Schlitten fallen und auf den Boden plumpsen. Aber Urwi ist ein guter Flieger, wie ich mittlerweile feststellen konnte. Er bringt einen immer sicher ans Ziel."
"Ja," sagte Misha, ein wenig aus sich herauskommend, "er ist sehr nett. Ich hatte keine Angst vor ihm, obwohl ich gestehe, das ich schon misstrauisch bin."
Sammy nickte: "Das verstehe ich. Du hast so viel Schlechtes erfahren müssen, sowas sollte kein Hund durchmachen!"
Nun wurde Mishas Tritt etwas schneller, und sie holten Urwi und Niki allmählich ein.
"Das Essen ist gut, sagst du?" fragte Misha dann. Sammy konnte nun kaum noch mit ihm Schritt halten. Man sah, das Misha oft rannte.
"Oh ja!" rief Sammy freudig. "Du wirst schon sehen!"

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