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Dienstag, 19. Dezember 2017

Sammys wauschönes Weihnachtsabenteuer - Kapitel 16



16. Die Trunkkühe 



Die Heimreise ins Weihnachtsdorf wurde ebenso schwungvoll, wie der Hinflug: plötzliche Kurven und steile Flugmanöver ließen die Fahrgäste des Schlittens ordentlich wackeln und hin-, wie auch herrutschen. Sammy war so in Gedanken, das er dies allerdings nicht mitbekam. Er beobachtete den ganzen Flug über Emmy, wie sie majestätisch und fein durch die Luft glitt. Bewunderung war nicht das einzige Gefühl, das er diesem sanften und doch so kraftvollen Geschöpf gegenüber empfand. Er liebte sie. Sie war nicht nur wunderschön, auf ihre ganz eigene, ihm bisher völlig unbekannte Weise, sie war zärtlich und liebevoll. Er fühlte sich geborgen in ihrer Gegenwart. Er liebte den Klang ihrer glockenreinen und zugleich tiefen, brummenden Stimmen, die sich immer wieder zu einer einzigen Stimme verbanden. Sammy war hingerissen.

Als sie auf einem freien Platz vor dem Weihnachtsgarten parkten, verabschiedete sich Emmy von ihnen. Sammy sah sie betrübt an.
"Mein lieber Sammy, mein wundervoller, neuer Freund!" sagte Emmy, nun wieder auf vier Beinen und auf Augenhöhe mit dem Hund, "sei nicht traurig! Glaube mir, das alles gut wird und wir uns wiedersehen werden. Jetzt, da wir uns so nahe waren, möchte ich auch keinen Tag mehr ohne dich sein. Doch jeder hat seine Aufgabe, auch du, mein lieber Freund. Jetzt ist nicht die Zeit für Tränen, sondern für ein Lachen!"
Sie umarmte den Hund innig, ihre Augen strahlten, und sie drückte ihren neuen Freund fest an sich.
"Ich werde dich sehr vermissen," sagte Sammy und versuchte ein Lächeln.
"Wir sehen uns wieder, das ist versprochen. Und nun - " ihre Stimme schwoll wieder zu einem Singsang an, " - müsst ihr gehen. Lebt wohl, meine Liebsten!"
Sie wuchs in die Höhe, Arme und Beine verschwanden, und sie schlängelte davon. Sammy sah ihr so lange nach, bis sie im Weihnachtsgarten verschwunden war.
"Nun wird es Zeit für uns, die Federn zu hüten," seufzte Urwi. "Lasst uns ein wenig schlafen, denn nachher, sehr früh, steht noch ein anderer Besuch an, alter Freund."
Sammy sah Urwi und Niki gespannt an und vergass einen Augenblick lang den Abschiedsschmerz.
"So?!" rief er leise aus.
"Wir werden dir zeigen, woher unsere festlichen Getränke kommen. Du wirst das Geheimnis sehen, warum unser Schlummertrunk so unwiderstehlich ist."
Sammy machte große Augen.
"Ach?!" sagte er, sprachlos.
Niki und Urwi nickten einander zu, Niki zwinkterte und winkte zum Abschied, als er sich auf ihren kleinen Reiseschlitten setzte und mit einem "und auf!" in die Luft schwang. Urwi und Sammy sahen ihm noch nach, ehe sie sich auf den Heimweg machten.

Der Wecker klingelte unerhört früh. Es mochten kaum drei Stunden vergangen sein, seit sie sich hingelegt hatten und eingeschlafen waren. Sammy reckte sich und gähnte groß, als Urwi die Treppe zum Wohnraum hinunterstakste. Er wirkte etwas steif, und seine Augen sahen müde aus.
"Guten Morgen, Sammy. Das Frühstück lassen wir heute ausfallen, das wird es nachher geben," sagte er wie im Halbschlaf.
Sammy sah ihn überrascht an.
"Wo geht es denn hin, so früh am Morgen?" fragte Sammy leise, wollte er doch den Wichtel nicht unnötig wecken.
Urwi strich sich geistesabwesend über den Bart.
"Ich möchte es mal so ausdrücken: ich freue mich auf einen frischen Becher Schokolade," antwortete er mit einem Zwinkern. Es schien, als sei er in den wenigen Minuten, die er neben Sammy auf dem Sofa gesessen und ins mild glühende Kaminfeuer gesehen hatte, doch wach geworden. "Und nun geht's direkt los, mein alter Freund," schwang er sich nach einer seinen Bart kraulenden Pause auf. "Es gilt heute, alles zu geben. Die Zeit drängt, und wir wollen uns ja nicht hetzen." Er nickte sich wohl eher selber zu, sich selbst motivierend, als das er zu Sammy sprach.
Als sie in Urwis Schlitten stiegen - Urwi in gewohnter Weise die flauschige Decke über seine Beine ziehend - wollte Sammy wissen: "Kommt denn Niki auch mit?"
Urwi lachte, vollends aufgewacht.
"Das, alter Freund, lässt er sich nie entgehen!" Er nickte nachdrücklich.

Sie flogen nicht lang, nur einige Minuten wohl (obwohl Sammy der Verdacht beschlich, das man in dieser Welt gerne das Zeitgefühl verlor), ehe sie sacht landeten. Hier war kein - was Sammy mittlerweile kannte - öffentlicher Schlitten-Parkplatz, es war eine freie Wiese, auf der sich nichts weiter befand außer Gras. Und natürlich der herrliche Pulverschnee.
"Warten wir noch auf Niki?"
Sammy konnte zwar einige andere Schlitten sehen, aber Nikis reich verziertes, glänzendes Reisegefährt sah er nicht.
"Nein, nein," sagte Urwi grinsend. "Wir gehen rein. Vielleicht treffen wir ihn hier an, vielleicht führt ihn sein Weg heute später her. Du weisst ja, es ist nur noch ein Tag bis Heiligabend."
Sammy nickte. Stimmt, dachte er, hatte er fast vergessen. Heute hatte Niki bestimmt viele andere Dinge zu erledigen, als mit ihnen die Zeit zu verbummeln.
Sie liefen auf ein riesiges, hölzernes Tor zu. Hier entdeckte Sammy ein Schild, wie er es vor der Geschenke-Abteilung gesehen hatte, allerdings war hier auf dem Schild etwas wie ein Glas oder Humpen abgebildet. Darunter war zu lesen: 'Weihnachtstrunk-Abteilung'. Das klang vielversprechend, dachte Sammy.

Urwi läutete an einer gigantischen Glocke, die einen fast ohrenbetäubenden, dumpfen Klang von sich gab. Während das Metall der Glocke noch nachschwang, wurde der brummende Klang jedoch immer heller, feiner, bis er leise und sacht wie ein Lied ausklang. Sie warteten einige Minuten, dann wurde das Tor von innen mit einem Schwung geöffnet. Ein Wichtel - Sammy guckte erstaunt, hatte dieser Wichtel gar keinen Bart! - begrüßte sie herzlich. Er freute sich ganz offensichtlich, Urwi hier stehen zu sehen.
"Ja Urwi!" rief er mit ausgebreiteten Armen. "Was führt denn dich hierher?"
Urwi stelle Sammy vor, und der Wichtel begrüßte auch ihn mit einem strahlenden Lächeln.
"Das ist aber schön, dich ausgerechnet heute hier zu sehen. Schlitten denn schon justiert?" Und mit einem Räuspern wandte er sich an Sammy: "Entschuldige, ich bin Truwi. Ich freue mich sehr, dich hier willkommen heißen zu dürfen!"
Sammy stellte sich persönlich vor, so mitgerissen war er von dem leidenschaftlichen Empfang.
"Dann darf ich euch bitten, mir erstmal zu folgen. Ich werde euch dann - " er wandte sich an Sammy, "- pardon, ich werde dich dann mit allem nötigen Wissen versorgen, das du für unseren Rundgang hier benötigst. Urwi kennt sich hier ja bestens aus."
Er lachte herzlich. Sein Körper bebte unter seinem Gelächter.

Sie liefen über einen weiten Hof, bis sie schließlich vor einer enormen Scheune standen. Mit voller Kraft zog Truwi eine Hälfte des mächtigen Tores auf, und der Anblick verwunderte Sammy so sehr, das er einen Moment innehielt, während die beiden Wichtel bereits weiterliefen. Das hier war nicht einfach eine Scheune, nein, das hier war eine Welt für sich! Hier gab es Berge von duftendem Heu, winzige Wiesen, Bäumchen voll knackigem Obst und einen schmalen, sprudelnden Bach. Sammy folgte Urwi und Truwi, bis sie am anderen Ende erneut an ein Tor kamen, das jedoch einen Spalt breit geöffnet war. Die Scheune - sofern man sie so nennen konnte - war so riesig, das man das hintere Tor vom vorderen aus nicht hatte ausmachen können. Sammy staunte unverblümt.
"Hier finden die Tiere Unterschlupf, wenn sie sich vor dem Regen unterstellen möchten, treffen sich zu einem Plausch, einer ausgiebigen Schmusestunde oder ruhen sich einfach mal aus. Man könnte sagen, das hier ist ihre Wohnung," erklärte Truwi professionell, während seine Hände mit einer ausladenden Bewegung durch die Luft fuhren. "Unsere Tiere sind derzeit alle unter freiem Himmel, wie ihr gleich sehen werdet," fuhr Truwi fort, und sie traten erneut hinaus ins Freie. Doch der Himmel hier schien anders als das Firmament, das noch über dem Hof gelegen hatte. Es war, als wären sie durch ein magisches Portal in eine andere Welt geschritten. Hier teilte der Himmel sich in eine helle und eine dunkle Seite. Das heißt, sie liefen natürlich ineinander über, es gab also auch eine etwas dämmrige Zone. Die unterschiedlichen Gebiete gingen sanft ineinander über: die Wiesen grenzten an seichte Gärten, die wiederum in etwas karge, sandige Böden übergingen, die sich zu Felsen formten, die die Grenze zu sumpfähnlichen Gebieten bildeten. Alles war so weitläufig, das man es gar nicht auf einen Blick überschauen konnte.
Und viele Tiere gab es hier, vornehmlich Kühe. Und Hühner. Aber man sah auch Kaninchen, Vögel in den schillerndsten Farben, einige Schweine und auch Eichhörnchen und Mäuse. Überall standen oder lagen Gruppen und ganze Herden von Tieren, einige schliefen, andere unterhielten sich, und einige standen einfach so herum, kauten oder tranken das klare Wasser des Baches, der sich über das gesamte Areal erstreckte. Wichtel gingen ihrem geschäftigen Treiben nach. Heute hatten sie besonders viel zu tun, wie es schien.
"Urwi, du möchtest doch bestimmt einen Becher Schokolade, nicht wahr?" lachte Truwi, der die Vorlieben seines alten Freundes bereits kannte. Urwi nickte eifrig.
"Wunderbar," sagte Truwi lachend, "dann stelle ich Sammy doch mal unsere Gundri vor."
Sie liefen eine Weile über die Graslandschaft, bis sie einen Garten erreichten, der vor Obst nur so strotzte. Die Bäumchen leuchteten in bunten Farben, und eine dunkelbraune Kuh döste hier vor sich hin.
"Hallo Gundri!" begrüßte Urwi die Kuh.
"Ach Urwi!" rief Gundri aus, mit einem Schlag hellwach. "Was führt dich hierher? Ein Becher frische Schokolade doch nicht etwa?" Die Kuh blinzelte freundlich.
Truwi stellte Sammy und Gundri einander vor.
"Sammy ist Urwis Gast, und wir wollten ihm mal zeigen, woher denn unsere schönen Getränke kommen."
"Habe gar nichts dagegen," kicherte Gundri frech. Ihr Lachen hörte sich befremdlich an, tief und rau, wie ein seltsamer Gluckser. Sie erhob sich träge.
Truwi hatte sich einen Schemel unter's Hinterteil geschoben, und machte sich ans Werk. Sammy traute seinen Augen nicht: Gundri gab keine Milch, sie gab Schokolade! Als Truwi mit dem Melken fertig war, füllte er aus dem Eimer etwas in einen kleinen Becher, der an seinem Gürtel gebaumelt war. Er überreichte Urwi den Becher, der mit freudigem Gesichtsausdruck genüsslich das frische Getränk schlürfte.
"Aber wie geht das? In der Menschenwelt geben Kühe doch Milch!" rief Sammy.
"Ganz zu Beginn der Weihnachtswelt," begann Truwi, als habe er diese Geschichte schon oft erzählt, so viel Professionalität lag nun in seiner Stimme, "gaben auch unsere Kühe nur Milch. Doch unsere Tiere haben alle gewisse Vorlieben. Manche zum Beispiel schmausen unheimlich gerne Trauben, Kräuter und Zimt. Ihr Getränk, das sie uns spenden, ist Glühwein oder Punsch. Dann haben wir noch unsere Mischgemeinschaften, wie die Kühe, die sich am wohlsten in Gegenwart von Hühnern fühlen - und den Hühnern geht es ebenso. Ihre Symbiose erzeugt den herrlichsten Eierpunsch oder Eierlikör. Und natürlich gibt es auch die unterschiedlichsten Variationen: so wird der Kakao von Kühen, die gerne Zucker futtern, sehr süß, während unsere Milchliebhaber einen sahnigen Kakao geben. Auch Vanille gibt es, und herbe, dunkle Schokolade von Kühen, die sich fast ausschließlich von den schmackhaften Kakaofrüchten ernähren. Übrigens erklärt das auch die skurrilsten Fellfarben: nach einigen Jahrhunderten passte sich der Pelz der Vorliebe des jeweiligen Tieres an," schloss Truwi.
"Und der Schlummertrunk... ?" wollte Sammy, nun vollends gespannt, wissen.
"Das werde ich dir jetzt zeigen."
Sie verabschiedeten sich von Gundri, die bereits wieder dösend auf ihrem Fleckchen Grün lag, und liefen ein ganzes Stück über das traumhafte Gebiet hinter der Scheune. Sie erreichten schließlich eine verschrobene Hütte, die auf karger Wiese stand, jedoch von Kräutern, Gemüsen und bunten Sträuchern umrahmt wurde. Der Himmel über der Hütte war sternenübersät, die so viel Licht spendeten, als wäre es Tag. Truwi klopfte an die Tür, und ein dumpfes "herein!" erklang. Als sie eintraten, war alles duster. Lediglich eine inmitten des Raumes sitzende Luxi spendete Helligkeit. Neben ihr lag eine gelblich-weiße Kuh, die wohl gerade ein Nickerchen gehalten hatte.
"Darf ich vorstellen: das ist Polli. Sie stellt Nikis liebstes Getränk her!"
Polli erhob sich gemächlich, und Sammy schwante, das sie schon so einige Jährchen auf dem Buckel hatte. Die Luxi neben ihr raschelte seicht mit ihren Blättern und rückte nun näher an die Wichtel heran.
"Seid mir gegrüßt, meine Lieben," sagte Polli herzlich. "Wo habt ihr denn Niki gelassen?"
Als hätte sie es geahnt, pochte es erneut an die Tür, und mit einem polternden: "Guten Morgen alle miteinander!" trat der Große ein. "Wie sieht es denn mit einem winzigen Schlückchen für uns alle aus?" Lachend begrüßte er sie alle der Reihe nach, und streichelte ausgiebig Sammys Kopf .
Polli hatte nichts dagegen einzuwenden, eine Runde zu spendieren, und so griff sich Truwi wieder einen Schemel, während Urwi ein paar kleine Becher besorgte. Er fand sie in einem der in den Ecken stehenden Schränkchen. Wie es schien, kamen wohl öfter Besucher vorbei, die sich an Pollis schmackhaftem Trank gütlich taten.
Sie ließen sich den Trunk schmecken, und Niki kam um ein "hach, einfach herrlich, Polli!" nicht umhin. Auch Sammy bekam natürlich etwas ab, obwohl es für ihn ein wenig kompliziert war, aus einem Becher zu schlürfen. Dieser Trunk allerdings schmeckte süßer als der Schlummertrunk, den er in den Gaststätten zu kosten bekommen hatte. Unwiderstehlich, fand er auch jetzt wieder.
Sie standen eine Weile zusammen und genossen ihr Frühstück, bis Urwi sich den Bauch rieb und sagte: "Und nun sollten wir doch etwas Festes zu uns nehmen. Wie wäre es mit einem süßen Frühstück? Für dich, alter Freund, werden wir dort, wohin uns der Weg nun führt, natürlich auch etwas Herzhaftes finden!"
Sie brachen auf, und am Eingangstor verabschiedeten sich Truwi und Urwi mit einer herzlichen Umarmung. Niki wandte sich an Sammy: "Nach dem Frühstück machen wir beide uns zusammen auf die Socken. Es gibt etwas, das ich dir sehr gerne zeigen möchte. Es sei denn natürlich, du hast noch etwas anderes vor?" Dabei zwinkerte er, denn er kannte Sammys Antwort bereits. Dieser wedelte freudig mit dem Schwanz und tat einen kleinen Satz.


1 Kommentar:

  1. Das ist ja wirklich sehr schön beschrieben, dass Tiere, je nachdem was sie gerne fressen, sie dann etwas leckeres erschaffen können.

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