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Freitag, 22. Dezember 2017

Sammys wauschönes Weihnachtsabenteuer - Kapitel 19



19. Das Lied der Luxis 



Als sie Nikis Haus erreichten, bat dieser Bruni, ihnen doch etwas Deftiges aufzutischen. Bruni entschwand augenblicklich in der Küche.
"Nun haben wir ein wenig Zeit, uns auszuruhen, ehe der abendliche Trubel steigt. Möchtest du vielleicht ein entspannendes Bad nehmen, Misha? Ich habe ein kuschelig warmes Badezimmer, in dem du erstmal zur Ruhe kommen kannst."
Misha überlegte einen Moment. Er sah sich ausgiebig um, beschnüffelte das Sofa, wärmte sich am Kamin auf, und entdeckte dann Holly. Mit einem leisen Bellen näherte er sich ihr, doch die scheinbare Pflanze kringelte ihre Blätter in einer raschen Bewegung zusammen, hüpfte auf und sprang, wie ein Ball, auf Niki zu. Dieser streckte die Hand aus und setzte die Luxi auf seine Schulter.
"Sammy könnte dich begleiten, und ihr könnt euch noch ein wenig unterhalten. Na, was meinst du dazu, alter Junge?"
Er wusste einfach nicht, was er von all dem halten sollte, zu groß waren seine Zweifel. Doch immerhin war hier auch ein Hund, der glücklich zu sein schien. Vielleicht konnte er ihm einige Fragen beantworten. Also willigte Misha ein.

Als die beiden Vierbeiner zurück in den Wohnraum kehrten, saßen Urwi und Niki bereits am Esstisch. Die Hunde gesellten sich zu ihnen. Misha schien sich mittlerweile wohler zu fühlen. Sein zuvor rauhes Fell war samten weich, leicht lockig, und von einem dunklen Schokoladenbraun. An einigen Stellen schien es fast schwarz zu sein. Sein halbes Ohr hatte sich von dem Kampf gut erholt, wie Niki erleichtert feststellen konnte, als er ihn eingehend betrachtete, und Mishas Augen hatten nun einen Glanz angenommen, der Freude und Neugier besagte.
Kaum, das sie alle an der Tafel beisammen saßen, stieß Bruni die Tür auf und rollte einen mächtigen Servierwagen herein. Nach und nach stellte sie die Teller, das Besteck, die Schüsseln, Schalen und Platten, die Töpfe und eine Pfanne auf den Tisch. Niki war es nicht gewohnt, sich immerzu bedienen zu lassen, und packte mit an. Das ließ er sich nehmen. Doch Bruni brummte ihn an, sobald er nach etwas griff, und so setzte er sich mit einem schiefen Grinsen wieder hin.
Misha traute seinen Augen nicht: hier gab es wirklich alles! Hähnchen und Wurst, Käse und köstlich duftendes Brot, Kakao und Milch, Schokolade und Honig, und - zwischen ihn und Sammy abgestellt - ein großer Teller mit saftigen Knochen.
"Oh, oh, oh! Lecker riecht das alles!" rief Misha verzückt aus, und jeglicher Argwohn war aus seiner Stimme gewichen.
"Greift zu und esst, bis ihr satt seid," bat Niki mit einer einladenden Handbewegung. Bruni rollte derweilen den Servierwagen beiseite und schloss hinter sich die Tür, um die kleine Runde ungestört schmausen zu lassen.
"Woher kommt nur all das gute Zeug?" fragte Misha, nachdem er ein paar Würstchen mit Heißhunger verschlungen hatte. So gut hatte er noch nie gegessen, das war klar.
"Wir haben hier ganz besondere Zauber, die alles möglich machen," lachte Niki und zwinkerte. "Es gibt nicht nur Design-Wichtel, die sich um die Geschenke kümmern, sondern auch Wichtel, die das leibliche Wohl im Auge haben. Natürlich sind das keine Tiere auf unseren Tellern, alles Magie. Immerhin esse auch ich dann und wann gerne mal ein Scheibchen Wurst." Und er zwinkerte wieder in seiner liebevollen, schelmischen Art.
Sie aßen genüsslich, jeder von allem etwas, Urwi griff natürlich vornehmlich bei der Schokolade zu ("an Weihnachten darf man sich das mal gönnen, den Rest des Jahres wird abgespeckt" pflegte er bartkraulend zu sagen), und Niki hatte eine Vorliebe für alles mit Käse und Obst, vor allem überbacken, gefüllt, überzogen - hauptsächlich in Kuchen- und Tortenform, als Brötchen oder doppelte Brote.
Nach ihrem ausgiebigen, nachmittäglichen Mahl waren die Bäuche dick, und Niki, der sich an der Haustür seines erlesenen Mantels und breiten Gürtels entledigt hatte, zog nun eine Pfeife aus seiner Hosentasche. Urwi tat es ihm gleich, nur war seine Pfeife um einiges schmaler und länger. Die beiden Herren rauchten eine Weile stumm vor sich hin, die reiche Kost sich setzen lassend, und schließlich schenkte Niki eine Runde seines Lieblingsgetränkes aus.

Durch das hohe Fenster, das fast bis unter die Decke reichte, sah man die ersten Sterne blitzen. Wie viel Zeit wohl vergangen war? fragte sich Sammy. Eben waren sie noch auf der Weide bei den Kühen gewesen, und nun nahte die Nacht.
"Ich muss noch ein wenig arbeiten," erhob sich Urwi, leise mit den Händen auf den Tisch klopfend.
"Und ich -" sagte Niki gähnend, "bin bereit für ein Nickerchen am Kamin. Wer von euch beiden macht mit?" zwinkerte er Sammy und Misha an.
"Was denn arbeiten, Urwi?" fragte Sammy. "Ist es nicht bald Zeit, die Füße hochzulegen?"
Urwi lachte, kraulte Sammy, seufzte und antwortete: "Noch nicht, alter Freund, erst will ich mich noch um die Luxis kümmern."
Sammy sprang auf.
"Was musst du machen?"
"Möchtest du mich begleiten? Ich werde dich rechtzeitig zu Niki zurückbringen."
"Zurückbringen?" fragte Sammy und zog eine Braue hoch.
"Pssst," sagte Niki lachend, "ich habe es ihm noch nicht erzählt."
"Was denn erzählt?"
"Du wirst heute nacht mit mir auf große Fahrt gehen, Sammy, und dann werde ich dir dein Weihnachtsgeschenk bereiten."
Sammy war aufgeregt, mit einemmal so gar nicht mehr müde vom vielen Essen.
So brachen Urwi und Sammy auf, während Niki und Misha es sich vor dem Kamin gemütlich machten - Niki auf dem Sofa, während Misha sich, anfangs scheu, doch bei Nikis breitem Grinsen sichtlich erleichtert, auf den geräumigen Sessel kuschelte.

"Wir bringen die Luxis jetzt in ihr Haus, wo sie feiern werden. Sie haben eine uralte Tradition, mit der sie diesen Abend begehen. Doch da sie überall verstreut sind, haben wir noch einiges an Arbeit vor uns. Bist du bereit, alter Freund?"
Sammy bellte erfreut und wedelte ausgiebig mit dem Schwanz.
"Wir müssen alle einsammeln?" hakte Sammy nach, während sie es sich in einem geräumigen Schlitten gemütlich machten.
"Natürlich nicht alle, einige wohnen ja in der Nähe und laufen nach Hause. Andere werden von den Drachen geflogen. Doch es gibt immer wieder ein paar Nachzügler, die so fest schlafen, das sie das Fest der Feste fast verpassen. Ich weiß natürlich, wo ich sie finde, aber es ist dennoch eine Rundreise." Urwi unterlegte seine Erklärung mit einem energischen Nicken. Sammy dachte bei sich, das für den uralten Wichtel die Arbeit wohl nie aufhören würde.
"Und dann," sagte Urwi, zupfte seine Decke zurecht, "ist endlich auch für mich Feierabend!" und er schwang den Schlitten mit einer steilen Kurve in die Luft.

Sie sammelten überall im Weihnachtsdorf noch Luxis ein: in der Geschenke-Abteilung waren einige zu finden, die sich nach Feierabend der Design-Wichtel in ihre Blumenerde zurückgezogen hatten und dort eingeschlafen waren; auch Richtung Printendorf, auf dem Knopfbusch-Hügel, saßen vereinzelt einige herum, die wohl die Zeit verbummelt hatten; und natürlich waren die ein oder andere auch im Weihnachtsgarten zu finden: hier saßen sie zwischen den duftenden Kräutern und auf den Bäumen und träumten vor sich hin. Urwi lief die Gebäude im Weihnachtsdorf gewissenhaft und doch raschen Schrittes ab. In jeden Raum sahen sie, und überall dort, wo sie einen kleinen Schimmer oder einen Blumentopf ausmachten, sahen sie genau nach. Nachdem sie alle lichtspendenden Pflanzenwesen eingesammelt hatten, lenkte Urwi den mittlerweile prall gefüllten und von schwirrendem Geplapper erfüllten Schlitten auf das Luxi-Anwesen zu. Anwesen war ein wenig übertrieben, aber es war doch ein annehmbar großes Haus.
Sie traten durch eine kleine Tür ein, gerade groß genug, das Urwi hindurchpasste, und gelangten in ein erstaunliches Habitat. Der Boden war aus dunkler Erde, und überall fanden sich tönerne Töpfe, die kleine Eingänge zu haben schienen. Sie standen mit dem Boden nach oben und hatten kleine, runde Dächer, fast wie Pilzhüte. Die Wände waren zu allen Seiten von dichtem Blattwerk umrankt. Einige kleine Bäumchen wuchsen vereinzelt, es gab sogar ein paar Knopfbüsche. In der Mitte des Raumes saß eine ungewöhnlich große Luxia, die einen strahlenden, goldenen Schein von sich gab. Normalerweise leuchteten gerade die großen, also die alten Luxis, eher matt, und die kleinen, jungen Pflanzen spendeten viel Licht. Doch dieses Pflanzenwesen schien ungeheure Energie zu besitzen.
"Das ist ihr Mutter, Lillu. Ihr erweisen sie am heutigen Abend ihre Ehrerbietung und Dankbarkeit."
Sammy und Urwi verharrten am Eingang, während die Luxis sich nach und nach um Lillu versammelten. Sie umringten sie, und ihre Blätter streckten sich in alle Richtungen. Sie berührten einander, eine Luxi die andere, sie hielten sich an ihren Blätterhänden. Ihre schlängelnden Rankenarme griffen ineinander über, bis man nur noch einen ganzen Pulk Luxis sehen konnte. Ihre piepsenden Stimmchen verbanden sich in einem Singsang zu einer wunderschönen Melodie, ein summendes Flirren, ein seichtes, reines Klingen, ein sanftes Schwirren, das mit der Zeit zu einem Lied wurde. Mit den hellen, leisen Stimmen sangen sie in ihrer Muttersprache.
Es war seltsam, aber Sammy konnte ihre Worte verstehen. Wie konnte das sein?
Sie sangen über die Geburt, über das Licht, über den Himmel und die Bäume, über die Erde und die Kraft der Liebe. Sie dankten ihrer Mutter, das sie sie geboren hat, und das sie sie behütet und beschützt. Sie sangen, das sie glücklich sind, weil ihr Leben voller Frohsinn und Freude ist, und das sie dankbar sind, das sie der Finsternis entkommen konnten. Sie sangen davon, das sie erfüllt sind von Licht und Liebe.
Sammy war ergriffen. Das Leuchten der Luxis erfüllte nun den ganzen Raum, erhellte ihn in einem freudvollen, warmen Licht. Die Melodie war schlicht, doch sehr ergreifend, und die kleinen Stimmchen erfüllten Sammys Seele. Etwas so Schönes hatte er noch nie vernommen! Er war gerührt von diesem Anblick.
Urwi stupste ihn schließlich an der Schulter an und machte eine Geste, das sie gehen würden. Doch Sammy konnte sich nicht losreißen. Dies war wohl das Wundervollste, das er im Weihnachtsland hatte sehen dürfen. Er wollte nicht gehen. Er schloss für einen Augenblick die Augen, den Gesang der Lichtspender tief in sich aufsaugend. Er wollte diese Melodie niemals mehr vergessen.
Die Luxis hatten sich zu einem einzigen, riesigen Wesen verbunden, vielstimmig, vielgesichtig. Die winzigen Köpfchen hatten sie in die Höhe gereckt, die Äuglein geschlossen, und die kleinen Münder formten immer wieder neue, unbekannte Worte. Ihr Schimmern und Strahlen verhieß Freundschaft und Liebe, Dankbarkeit und Freude.
Doch Sammy riss sich endlich los. Er ließ einen leisen, fast flüsternden Wauzer zum Abschied vernehmen, einen Laut, der ihnen 'Auf Wiedersehen' sagen sollte, dann trat er durch die Tür ins Freie. Er seufzte und war tief in Gedanken, während sie sich dem Schlitten näherten. Urwi umarmte ihn und lächelte warmherzig.
"Ich weiß, solch ein Abschied ist immer schwer. Doch ich bin sicher, du wirst sie wiedersehen." Bei diesen Worten zwinkerte Urwi ihm liebevoll zu. "Und nun, alter Freund, auf zu Niki!" Sprach's und schwang den Schlitten in die Lüfte. Sammy sagte, das ihm eine langsame Fahrt jetzt lieber wäre. Urwi sah den Vierbeiner erstaunt an und zog die Augenbrauen hoch.
"So?" fragte er überrascht.
Sammy nickte. "Ich möchte das Lied noch etwas ausklingen lassen, wenn es recht ist und die Zeit es zulässt."
Behutsam lenkte Urwi das Reisegefährt gen Boden, und ließ den Schlitten langsam über der Erde dahingleiten. Und so bummelten sie durch die herannahende Nacht auf Nikis Haus zu. Sammy atmete tief durch und genoss den Ausblick auf die Sterne. Das Lied der Luxis hallte in seinen Ohren nach, und er war versucht, mitzusummen.

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